„Im Sommer sag i dir‘s eh.“
1945 erlebte ich meine ersten Weihnachten ohne Krieg und ohne Bombenalarm. Das "Neue Österreich" berichtete über Österreichs Rückkehr zur Schillingwährung und zitierte einfach den Gesetzestext: "Zur Vorbereitung einer einheitlichen österreichischen Währung werden zunächst die auf 10 Reichsmark und darüber und die auf 10 Alliierte Militärschilling und darüber lautenden Banknoten aus dem Verkehr gezogen und durch, von der Österreichischen Nationalbank auszugebende, auf Schilling lautende Noten ersetzt ..... vom 21. Dezember 1945 an ist in der ganzen Republik Österreich der Schilling das einzige gesetzliche Zahlungsmittel.“
Mich kümmerte das alles herzlich wenig, denn Geld hatten für mich damals noch keinerlei Bedeutung. Für meine Großmutter bedeutet das aber nun schon zum dritten Mal, dass sie ihren ersparten Notgroschen (silberne Münzen, die sie in einer versperrten Küchenlade verwahrte) abermals umtauschen musste.
Maria Nowak (auf Deutsch: Neuling), eine geborenen Swoboda (auf Deutsch: Freiheit) war eine sehr starke und resolute Frau, die schon zwei Weltkriege übererlebt hatte – und auch ihren, ständig betrunkenen, gewalttätigen Ehemann, der sich schon lange vor meiner Geburt mit 49 Jahren das Leben nahm … (ein typisches Schuld- und Sühne-Drama).
Mit mir ging
meine Oma (zum Ärger meines um 20 Jahre älteren Onkels, der noch bei ihr wohnte)
unbeschreiblich geduldig und liebevoll um. Und das war gut so, denn ich verbrachte den Großteil
meiner ersten drei Jahre bei ihr in der Beingasse 17 im 15. Wiener
Gemeindebezirk.
Nur die Reichen hatten damals Wasser und Klosett in ihrer Wohnung. Alle anderen mussten sich ein Gemeinschaftsklo am Gang für drei Hausparteien teilen. Und fließendes Wasser gab es in jedem Stock nur eines – die berühmte Wiener Bassena. In den Wohnungen wurde viel weniger als heute geheizt, wodurch die Gänge im Winter manchmal so kalt wurden, dass das Wasser dort einfror.
Dank des lockeren Mundwerks meiner Oma lernte ich schon sehr früh richtig gut reden, was mir mein ganzes Leben lang jede Menge Vorteile brachte. Doch bei einem anderen Thema war ich eher ein Nachzügler. Denn ich machte mit bald 2 ½ Jahren noch immer genüsslich in meine Windeln.
Der Hauptgrund dafür war ganz offensichtlich unser eiskaltes (und manchmal auch zum Recken verdrecktes) Gemeinschaftsklo am Gang. Die Erwachsenen hatten sich vermutlich schon daran gewöhnt, dass ihnen im Winter manchmal beinahe der Hintern einfror, doch mir graute davor.
Und das änderte sich auch dann nicht, als mich meine Oma kurz vor Weihnachten vorwurfsvoll ansah und sagte: „Jetzt bist schon ein so großer Bub, kannst besser reden als mancher Erwachsene – und machst immer noch in die Windeln!? Du spürst es doch sicher schon, wenn du musst. Warum sagst du es mir dann nicht?“ Mich dürfen ihre Worte aber nur wenig beeindruckt haben, denn ich antwortete darauf nur trocken: „Im Sommer sag i dir‘s eh.“